Rede von Antje Bostelmann zur Titelverleihung „Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage“
Titelverleihung „Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage“
Manuskript der Rede von Antje Bostelmann am 9. September 2016 an die Klax Sekundarschule
Liebe Schülerinnen, liebe Schüler, liebe Schulleiterin Frau Sahraoui, liebe Geschäftsführerin Frau Dr. Schubert, liebe Frau Linda Gabriel, lieber Herr Rickfelder, liebe Eltern, liebe Gäste,
ich bin gebeten worden anlässliches dieser Feierstunde einige Worte zu sagen. Das will ich gern tun und ihnen zunächst einen Teil aus meiner persönlichen Lebensgeschichte erzählen.
Ich wurde 1960 geboren. 16 Jahre nachdem meine Großmutter ihre drei Kinder durch Eis und Schnee von Königsberg bis zur Insel Usedom geschleppt hatte. Im Winter 1944/45 waren sie Flüchtlinge im Zweiten Weltkrieg. Meine Großmutter war eine kleine Frau – sie brachte es auf nicht mehr als 1,56 cm Körpergröße. Auf der Flucht trug sie die Verantwortung für ein zweijähriges, ein vierjähriges und ein 7-jähriges Kind.
Darunter meine Mutter.
Die erzählte mir später von den vielen toten Menschen, den wie zur Parade am Weg aufgestellten Kinderwagen mit den angefrorenen Babybleichen darin und von der Fahrt auf der Ostsee mit dem großen Schiff, das wie durch ein Wunder nicht von einem U Boot versenkt wurde. Sie haben diese schlimmen Strapazen überlebt.
Wenn ich über diese Vergangenheit nachdenke und mir die Gegenwart anschaue, muss ich mir eingestehen: Ich bin die Enkelin einer Flüchtlingsfamilie.
Später als Jugendliche habe ich meine Mutter oft gefragt: „Warum habt Ihr nichts unternommen?“ „Warum habt Ihr zugelassen, dass Hitler soviel Menschen umbringt und so einen furchtbaren Krieg anzettelt?“ Dabei habe ich total ausgeblendet, dass meine Mutter noch gar nicht geboren war, als Hitlers-Regime 1933 an die Macht gelangte. Trotzdem bin ich regelmäßig voller pubertärer Wut auf meine Mutter los: „Warum habt Ihr den Menschen in den Konzentrationslagern nicht geholfen?“ „Warum ….?“ Ich habe nie eine richtige Antwort bekommen.
Heute bekommen wir alle ein Bild davon, wie es damals gewesen sein musste: Angesichts der Schwierigkeiten unserer Gegenwart lassen sich die Menschen erneut von Parolen blenden.
Populisten verbreiten wieder Ideen, dass Menschen aufgrund ihrer Herkunft, Religion oder Hautfarbe verschiedene Rechte hätten – manche seien mehr wert als andere. Sie behaupten die einzige Wahrheit zu kennen und teilen die Gesellschaft ein in „Ihr“ und „Wir“. Dabei benutzen sie die Grundwerte und Instrumente der Demokratie um sie auszuhöhlen oder gar abzuschaffen.
Machen wir uns nichts vor: Dahinter steckt eiskaltes Machtkalkül.Vor nicht ganz 100 Jahren war die Menschheit nicht immun gegen diesen Wahnsinn. Und ich überlege: „wird sie es heute sein?“ Uns allen stellt sich also die Frage: „was können wir tun?“.
Denn dass wir nicht tatenlos bleiben dürfen, liegt auf der Hand.Ich stelle mir vor, wie es sein wird, wenn meine erwachsenen Kinder ihren Kindern oder Enkeln Rede und Antwort stehen müssen. Wenn die kommenden Generationen später fragen werden: „Was habt Ihr damals getan?“ „Wie habt Ihr den Menschen geholfen?“ „Wie habt Ihr gesellschaftliche Katastrophen verhindert?“Der erste Schritt um eine Situation zu verbessern, ist immer sie zu verstehen.
Sich zu fragen: Was passiert hier grade? Wie funktioniert diese Spaltung unserer Gesellschaft?Hauptmittel von Populisten ist es stets andere gesellschaftliche Gruppen zu beschimpfen und auszugrenzen. Fast immer sind es Minderheiten, von denen sie behaupten diese seien Schuld an einer besonders schlimmen Lage oder diese stünden einer Verbesserung der Verhältnisse im Wege. Dadurch üben Populisten eine große Anziehungskraft auf viele verunsicherte Menschen aus.
So sind die vielen Flüchtlinge, Menschen mit anderer Hautfarbe oder aus anderen Ländern, die Politiker und schließlich unsere Bundeskanzlerin schuld an all den Missständen. Und niemals sie selbst.Diejenigen, die da anklagen, machen sich selbst zu Opfern. Sie begeben sich in eine Rolle, die ihnen einfache Antworten auf schwierige Fragen bietet. „Wer ist schuld?“ - „Na die da!“
Populisten nutzen hier die Gunst der Stunde und bieten sich mit einfachen politischen Lösungen an. Doch gehalten haben solche vermeintlichen Retter, ihre Versprechen noch nie. Es ist meistens das Gegenteil eingetreten. Im schlimmsten Fall: Krieg, Tod und Zerstörung.
Trotzdem sind immer mehr Menschen in Deutschland bereit - in Mecklenburg Vorpommern waren es bei der Landtagswahl am letzten Sonntag schon über 21 % -, das Versprechen auf ein besseres persönliches Leben auf einem Fundament aus Hass und Vertreibung anderer Menschen aufzubauen. Es sind vor allem Worte mit denen dies alles geschieht. Mit Worten, die zu starken Emotionen führen. Mit Worten werden Taten begründet und zu Gewalt angestiftet. Angst und Hass sind so salonfähig geworden.
Mit Worten muss man dagegen angehen: „Because I believe the world can be a better place if we start seeing and treating each other as equals.“
Die Welt kann besser werden, wenn wir uns als gleich ansehen und behandeln. Diese Worte unserer Schulpatin Linda Gabriel machen deutlich worauf es jetzt ankommt. Ich bin davon überzeugt, dass nur solchen Gesellschaftsformen die Zukunft gehören wird, in der die Menschen in der Lage sind, sich um einander zu kümmern und dabei unterschiedlichste gesellschaftliche Gruppen zu integrieren.
Ich habe mich entschieden, optimistisch zu sein. Denn Berlin ist so ein Beispiel erfolgreichen multikulturellen Zusammenlebens. Europa war auf dem Weg dahin. Ich hoffe, es wird es bald wieder sein.Unsere Bundeskanzlerin hat sehr viel für die Menschen in unserem Land und für den Frieden in Europa getan. Den Menschen in Deutschland geht es so gut wie noch nie in der Geschichte und besser als den meisten anderen auf der Welt.
Die Brandstifter hinter der Maske des Biedermanns setzen dies alles aufs Spiel. Sie schüren Angst und Hass, geben Rassismus und Fremdenfeindlichkeit einen Platz und nehmen Gewalt in Kauf.
"Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage“, ist ein Titel, der im aktuellen Zeitgeschehen eine besondere Bedeutung hat. Während immer mehr Menschen braunen Parolen aufsitzen, stellen sich rund 200 Schüler und ihre Lehrer dagegen. In Kunstprojekten, Theateraufführungen und in einem Film haben sie sich intensiv mit dem Thema Menschenrechte auseinander gesetzt. Integration ist an dieser Schule nicht einfach nur eine Worthülse. Integration wird in unseren Klassen, in denen Schüler unterschiedlichster Herkunft, Kultur und Religion zusammen lernen, gelebt. Woher jemand kommt spielt hier keine Rolle. Es geht bei uns darum, wer man ist, wie man lernt, was man für die anderen tun kann.
Eine Schule gegen Rassismus zu sein, das ist uns bei Klax selbstverständlich, könnte man sagen. Aber die gegenwärtigen politischen Entwicklungen fordern uns dazu auf, den auch zweiten Teil des Titels ernst zu nehmen. „Schulen mit Courage“, also mit Mut werden jetzt wirklich gebraucht. Mut hilft gegen Angst und damit auch gegen Hass. Mut ist genau die Medizin, die unsere Gesellschaft jetzt braucht, um die braune Krankheit erfolgreich zu bekämpfen. Helfen Sie weiterhin alle mit!
Bleiben Sie international und multikulti. Setzen sie sich ein für die Gemeinschaft und erklären sie anderen, wenn diese sich grade schwach fühlen und auf einen Retter hoffen, dass es besser ist, selbst eine Lösung zu finden. Und erzählen sie ihnen auch, dass dies am ehesten gelingt, wenn man sich gegenseitig unterstützt. Reichen Sie einander die Hände.Ich bin sehr stolz darauf, dass Sie alle es geschafft haben, diesen Titel zu erhalten.
Ich danke Ihnen