Vor einigen Wochen habe ich während einer längeren Autofahrt einen Beitrag über die Betreuungspolitik unseres Landes im Radio gehört. Ein Journalist, der Ende letztens Jahres ein Buch dazu verfasst hat, nutzt nun seine Verbindungen, um die Inhalte zu verbreiten. In seinem Buch geht es vor allem um eins: Kinder sollen bei ihren Eltern zu Hause aufwachsen. Der Betreuungspolitik unseres Landes werden ausschließlich monetäre Motive unterstellt.
Eltern, die ihre Kinder in Krippen oder Ganztagsschulen bringen, seien rücksichtslos und verantwortungslos, oder aber sie würden von den Politikern und von den Erzieherinnen getäuscht. Denn die Erzieherinnen verschweigen den Eltern, so heißt es in dem Buch, wie schlecht es den Kindern in den Einrichtungen geht. Auch wissenschaftliche Studien werden in dem Buch zitiert, vor allem um die These zu untermauern, dass Krippenkinder gestresst, aggressiv und unglücklich sind.
Ich will gar nicht darauf eingehen, dass genau diese Studien auch herangezogen werden, wenn die Krippenbefürworter beweisen wollen, wie nützlich Krippen für Kinder sind. Sicherlich haben Sie diese Erfahrung auch schon gemacht: Studien können je nach Standpunkt ganz unterschiedlich interpretiert werden.
Es geht also wieder los: Der Streit um die Frühkindliche Bildung und Betreuung geht in die nächste Runde. Einzelne versuchen sich damit zu profilieren und als Gegner oder Befürworter von irgendwas vorübergehend ein wenig Berühmtheit zu erlangen. Wie immer wenn Ansichten mit dem Anspruch der Ausschließlichkeit oder als die einzige Wahrheit dargestellt werden, fühle ich mich nicht wohl. Denn bei diesen Diskussionen wird immer vergessen, dass Menschen verschieden sind.
Wir Erzieherinnen sagen: Jedes Kind ist anders, einzigartig, individuell und jede Familie hat ihre Besonderheiten und Bedürfnisse. Dies spielt jedoch in diesen Diskussionen keine Rolle. Ich denke, solange die Menschen selbst entscheiden können, was für sie gut ist, sind wir auf dem richtigen Weg. Was nicht der Fall wäre, gäbe es keine oder nicht genug Krippenplätze, oder wenn alle Kinder in die Krippe oder den Hort müssten.
Erzieherinnen und Kindereinrichtungen werden gebraucht. Auch wenn die Betreuungsgegner dies nicht gern hören: Eltern wollen arbeiten, und das aus freien Stücken und nicht, weil das Bruttosozialprodukt sie dazu zwingt. Ich denke, dass in sehr naher Zukunft von Krippen und Kindergärten viel mehr verlangt werden wird als nur die Betreuung von Kindern sicherzustellen. Diese Entwicklungen sind schon zu bemerken und werden von den aufgeregten „Für und Wider“-Diskutanten einfach übersehen.
Die neuen Medien sind dabei, die Arbeits- und Lebenswelt dramatisch zu verändern. Immer mehr Menschen sind zum Arbeiten nicht mehr an einen Arbeitsplatz, ein Büro oder eine Fabrik gebunden. Arbeit kann für immer mehr Menschen und immer mehr Berufe überall stattfinden. Diese Entwicklung wird Städte, Firmen und natürlich auch die sozialen Einrichtungen verändern.
Soziologen sprechen schon jetzt davon, dass Kindereinrichtungen zum zweiten Hause für Familien werden, da Eltern weitaus mehr Ansprüche an die Einrichtungen stellen, als bisher. Eltern suchen Freundschaften unter den anderen Kindergarteneltern, verlagern ihre Familienfeiern in die Kindergartenräumlichkeiten ‒ und zwar nicht nur den Kindergeburtstag. Sie suchen Beratung zu Erziehungsfragen in der Einrichtung und scheuen nicht davor zurück, ihre Erzieherin auch noch spät am Abend anzurufen, wenn ihnen etwas auf der Seele brennt.
Aber es geht noch weiter: Schon heute gibt es Kindereinrichtungen, die Arbeitsmöglichkeiten für Eltern vorhalten. Co-Working nennt man solche flexibel zu mietenden Arbeitsplätze. Wer nicht zu Hause arbeiten möchte oder nicht die Möglichkeiten dafür hat, nutzt dieses Angebot. Die Branche boomt nicht nur in Großstädten. Es braucht ein stabiles WLAN, einen Stuhl an einem Tisch und eine gute Versorgung mit Kaffee und Snacks. Eine Kita hätte dies durchaus zu bieten.
Diese Trends verändern vieles. Erzieherinnen, Eltern und Kinder im gleichen Haus. Die Erzieherinnen beraten, begleiten und fördern das Familienleben. Es klingt wie eine Utopie und doch hat es schon begonnen. Durch diese Entwicklung verlieren die bisher aufgeführten Argumente für und gegen die Betreuung von kleinen Kindern ihre Schlagkraft. Was bedeutet dies für uns Erzieherinnen? Vor allem eins: Wir müssen unsere Sache gut machen. Und zwar in jeder Hinsicht: In der Betreuung der Kinder, in der Kommunikation mit Erwachsenen, in der Beratung von Eltern und in der Schaffung von Räumen in denen alle sich wohl fühlen, Groß wie Klein.